Wer in Unternehmen oder Agenturen über Mehrwerte spricht, hat Aufmerksamkeit. Immerhin erscheint man damit als eine Person, die sich Gedanken über Wichtiges macht. Das Wort Mehrwert vereint ein ganzes Bündel positiver Bedeutungen, und das wissen diejenigen, die es verwenden, ganz genau. In Unternehmen kann der Mehrwert für jeden Bereich bestehen, und deshalb hören alle zu. Doch die Sache hat einen entscheidenden Haken: Oftmals lenken nämlich die Diskussion und die Arbeit an Mehrwerten von dem Mangel an grundlegenden Werten ab. Mit anderen Worten: Anstatt sich proaktiv und vermeintlich produktiv auf eine Kaskade an Addition von Zusätzlichem zu stürzen, wäre ein Fokus auf das Grundsätzliche häufig ratsamer. Denn der permanente Wunsch nach Mehrwert bringt gar nichts, wenn man nicht von Zeit zu Zeit überprüft, wie authentisch und sinnvoll man eigentlich agiert.
Mehrwerte ohne Wert vergeuden Ressourcen
Mehrwerte erfordern so vieles: Erarbeitung, Präsentation, Organisation, Kommunikation. Fraglos hält das beweglich. Ein altes, böses Stichwort sagt »Operative Hektik ersetzt geistige Windstille«, und diese Wahrheit haben erstaunlich viele MitarbeiterInnen erstaunlich gut verinnerlicht. Deutlich zeigt sich das an gewohnten Denkweisen und Prozessen, die von den geplanten und erwünschten Mehrwerte gefestigt werden sollen. Aber wie sieht es mit den grundlegenden Problemen aus?
Fehlende oder unklare Werte bringen von Beginn an weitreichende Probleme mit sich: Eine Marke, deren Markenkern und Markenpersönlichkeit diffus ist, bleibt auch dann noch diffus, wenn man ihr Dutzende an weiteren sogenannten Mehrwerten anheftet. Produktseitig mündet es schnell in eine Optionalitis und Funktionalitatis, die die Nutzung des Produkts oder Services — das man allzu gern als »Lösung« bezeichnet — problematisch werden lassen. Deren Prämissen schleppen nämlich die grundsätzlichen Mängel mit sich, ohne sie zu beseitigen. Oder man zerfasert die Story eines Unternehmens, Services oder Produkts in unzusammenhängende, buzzword-getriebene Kommunikationsinseln ohne sprachliche Linie, die keinen erkennbaren Zusammenhang mehr haben und unglaubwürdig sind. Häufig ergehen sich die Argumente für sie in Allgemeinplätzen, bloßen Annahmen, was die Öffentlichkeit an ihnen zu schätzen wissen wird. Die Folge sind Beschreibungen und Anpreisungen voller Denk- und Sprachklischees, die der angepeilten Öffentlichkeit schnell klarmachen: Bei diesem Konstrukt wurde nicht richtig nachgedacht.
Es mangelt in diesen Fällen an dem entscheidenden Faktor: Dem Fokus auf Kundschaft, auf NutzerInnen, auf Leserschaft, schlicht den Adressaten. Es mangelt an eben jenen Werten, auf denen alle Unternehmungen basieren sollten.
Oft werden so die Dinge mit derlei Mehrwertsversuchen nicht besser, sondern eher noch schlechter.
Aber wie kommt all das überhaupt zustande?
Wer sich als Mehrwert-Erzeuger versucht
Wenn einzelne Mitarbeitende wachsam sind und im Sinne von Kundinnen und Kunden oder LeserInnen sowie des eigenen Unternehmens Mehrwerte ermitteln, ist das grundsätzlich eine positive, lobenswerte und hilfreiche Eigenschaft. Wir haben es dann mit einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu tun, der kritisch hinterfragt: Agieren wir noch richtig? Müssen wir uns anpassen? Haben sich die Öffentlichkeit oder die Anforderungen geändert? Sind wir von falschen Prämissen ausgegangen? Haben wir etwas noch nicht bedacht? Das kann übrigens auch die Reduzierung von Komplexität, Schwierigkeit und Unklarheit bedeuten.
Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Einzelne, die sich schlicht und ergreifend irren. Aber auch diejenigen, die verleugnen, dass ihre Wünsche und Annahmen nicht zielführend sind. Das können im schlechtesten Fall Chefinnen und Chefs sein, die einer nicht kompatiblen, schlüssigen oder umsetzbaren Vision folgen. GründerInnen, deren Überzeugung, wie »ihr Baby« auszusehen habe, unverrückbar ist. Aber auch Stakeholder, die ihrerseits »Druck von oben« bekommen und »Dinge durchpeitschen müssen«, koste es, was es wolle.
Und natürlich gibt es auch da jene, die den Applaus suchen, denen es nur um darum geht, publikumswirksam auf Dinge hinzuweisen, um geachtet und ernstgenommen zu werden.
Allen diesen Typen ist eines gemeinsam: Sie erzeugen mit ihren sogenannten Mehrwerten keine Werte. Sie binden Aufmerksamkeit und Arbeitszeit und ziehen sie von dort ab, wo sie dringender gebraucht werden. Sie handeln nicht, um im Sinne von Usern und Lesern etwas wirklich besser zu machen. Sie handeln nicht, um das Unternehmen selbst weiterzubringen.
Der Wert des Werts
Dabei liegt allem Denken und Tun ein initialer Ursprung zugrunde: Die Erschaffung eines Werts, der glaubhaft und überzeugend für sich selbst steht. Der funktioniert, technisch wie inhaltlich. Ein Wert mit einem Kunden- oder Leserkreis, der ihn zu schätzen weiß. Denn was niemand zu schätzen weiß, hat keinen Wert, ist kein Wert.
Wer geistige Windstille fürchtet, sollte ständig das Fundament prüfen und daraus sinnvolle Maßnahmen ableiten — diese können auch kleine Verbesserungen und Aktualisierungen sein. Denn reine Werterhaltungen kommen all jenen zugute, die den Wert zu schätzen wissen.
Ja, das kann auf den ersten Blick wie ein Rückschritt aussehen, und ist es in gewissem Sinn auch. Wo nichts Neues erzeugt wird, scheint zunächst nichts weiterzugehen. Aber ist diese Sicht auf die Dinge nicht fehlerbehaftet? Der Fokus auf das Wesentliche erfordert Konzentration sowie den Mut, vermeintlich Neues auszuschlagen. Konzentration ist eine dauerhafte Anstrengung, denn ihre Resultate erfordern ein durchdachtes Konzept und schlüssige, verständlich formulierte Argumente. Verbesserungen und Aktualisierungen benötigen dauerhafte Kenntnis aller Details im Innern und aller Anforderungen von außen. Das sollte man nicht unterschätzen, denn das ist harte Arbeit. Fokussiert zu sein und bleiben und zu erkennen, was genau wann wie wo warum sinnvoll und zielführend ist und daraus die passenden Maßnahmen abzuleiten, ist harte Arbeit. Das, was häufig als geistige Windstille aussehen mag, kann Ausdruck permanenter Beobachtung und Evaluierung sein. Sollen Kunden oder LeserInnen das, was wir tun, wertschätzen, sollte wir kontinuierlich daran arbeiten, den Wert dauerhaft zu erhalten. Dafür sollte der Wert permanent präsent sein und vermittelt werden. Erst auf dieser Grundlage ergeben Mehrwerte Sinn — und sind als solche wertschöpfend.
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